Das Bundesverfassungsgericht hat heute mit sieben gegen einer Stimme entschieden: Inzest kann weiterhin strafbar bleiben. In der ZEIT wird dies ein „beklemmendes“ Urteil genannt. Dies hat zwei Gründe. Zum Einen stützt sich das Urteil auf moralische Ansichten („Moralgesetzgebung“), zum Anderen auf Argumente der Eugenik.
Für den Hallenser Rechtsprofessor Joachim Renzikowski stellt sich die Sache so dar:
Der Gesetzgeber kann also bei Strafe die Zeugung von Kindern verbieten, wenn bei ihnen ein nennenswertes Risiko besteht, einen genetischen Defekt zu bekommen. Zumindest hätte das Verfassungsgericht nichts dagegen. Es sagt mit seinem Urteilsspruch auch, das Inzest-Verbot würde dem Schutz der Volksgesundheit dienen. Das bedeutet im weiteren Sinne: Wenn der Gesetzgeber bei Strafe verbieten würde, dass Eltern, die an einer Erbkrankheit leiden, Kinder zeugen, wäre das für das Verfassungsgericht in Ordnung. Zumindest wurde heute mit dem Urteil einer solchen Entwicklung kein Riegel vorgeschoben.
Ab sofort kann also ein Gesetz erlassen werden, das z.B. einem Kleinwüchsigen bei Gefängnisstrafe(!) verbietet, sich zu vermehren. Eingeordnet in den historischen Kontext Deutschlands lässt mich das schwindelig und wütend werden. So etwas kann nicht sein.
Desweiteren bleibt das Gesetz unpraktikabel. Denn im Wortlaut verbietet §173 StGB nicht den Beischlaf generell und nicht die Zeugung, sondern lediglich den „vaginalen Beischlaf“, von oralen und analen Praktiken keine Rede. Konkret bedeutet das: wenn eine Frau von ihrem Bruder schwanger wird, muss der Staat nachträglich den vaginalen Geschlechtsverkehr nachweisen. Und dafür bedarf es entweder Zeugen, Geständnisse oder Beweismittel wie ein benutztes Kondom. Für die Angeklagten reicht eine Schutzbehauptung z.B. eine Spritze benutzt zu haben.
Der Rechtsprofessor weiter:
Renzikowski: Könnte man. Alle anderen Tatbestände, die unstrittig sind, werden durch andere Paragrafen abgedeckt: sexueller Missbrauch von Schutzbefohlenen, sexueller Missbrauch von Kindern, sexuelle Nötigung und natürlich Vergewaltigung. All das trifft im vorliegenden Fall nicht zu. Dass durch das Gesetz das Rechtsgut Familie geschützt würde, halte ich ebenfalls für kein überzeugendes Argument. So bleibt ja auch der einvernehmliche Beischlaf zwischen Adoptivgeschwistern oder Stiefvater und Tochter unbestraft.
Für mich klingt das danach, als hätten sich einige Männer und Frauen gewunden, um sich von einer zementierten Moralvorstellung nicht lösen zu müssen. Dass das Inzestverbot auf Dauer fällt, ist keine Frage. Die Problematik mit der Eugenik bleibt hingegen bestehen. Und ich bin sicher, dass uns das verfolgen wird. Wenn nicht jetzt, dann in Jahren, denn menschliches Leben wird in unserer Gesellschaft zunehmend nach seiner Rentabilität ausgerichtet.
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